Ausweitung der Zwischenzone: Der musikalische Renaissance-Mensch

Christoph Cech.

von Andreas Felber
(anlässlich der Verleihung des Kunstpreises der Republik Österreich in der Sparte Musik am 25.1.2017)

„Ja, ich habe mir gedacht, ich muss mir meinen eigenen Stuhl basteln. Und darauf sitzen oder stehen oder Kopfstand machen“, so resümierte Christoph Cech seinen musikalischen Werdegang im Februar 2011 im Gespräch mit dem Autor dieser Zeilen, angesprochen auf seine Position als Mann „dazwischen“ - zwischen den Stühlen, Stilen, Lagern, ästhetischen Anschauungen. Christoph Cech, das ist der Musiker, der für einen Jazzer oft ein bisschen zu viel komponiert hat - imposante Partituren, von klassischen Interpreten auszuführen, von ihm selbst mitunter auch als Dirigent realisiert. Christoph Cech ist aber auch jener Musiker, der als Komponist immer wieder die Improvisation ins Spiel kommen lässt, der auf expressive Emphase, plastischen Ausdruck, konkrete Rhythmik und tonale Harmonik setzt - und solcherart aus der Reihe des zeitgenössischen Musikbetriebs tanzt. Christoph Cech, das ist zudem jener Pianist und Pädagoge, der sich in seinem Schaffen ebenso auf Frank Zappa wie auf Witold Lutoslawski beruft, auf Igor Strawinsky und Gil Evans, der sich nicht scheut, mit Laien und Amateuren zu arbeiten, mit Trachtenmusikkapellen, Big Bands, Kammermusik-Ensembles, Jazz-Combos. Christoph Cech: Das ist jenes Multitalent, jener musikalische Renaissance-Mensch, der in den letzten 30 Jahren seine Nischen-Position im Niemandsland zwischen den stilistischen Lagern aktiv zu einem neuen, gleichermaßen fruchtbaren wie weitläufigen Arbeitsfeld erweitert hat, in dem er gemeinsam mit Kollegen wie Michael Mantler, Franz Koglmann oder Christian Muthspiel als Role Model fungiert.

Der Jazzorchester-Leiter

Der Anfang der Entwicklung der multipolaren musikalischen Welt des Christoph Cech, Jahrgang 1960, ist wohl in den frühen 1970er-Jahren anzusetzen. Als der etwa 12-Jährige, der in einer gutbürgerlichen Familie in der Wiener Innenstadt aufwächst, beim Klavier-Üben etwa von Chopin-Stücken beginnt, manche Teile nicht notengetreu auszuführen, sondern im Geiste der vorgegebenen Grundstimmung zu extemporieren, man könnte sagen: zu improvisieren. Prägend ist für den Heranwachsenden in den folgenden Jahren der Rhythmik-Unterricht bei Hans Ulrich Staeps am Konservatorium (heute: Musik- und Kunst- Privatuniversität) der Stadt Wien, der damit eine Basis legt, die im Werk von Christoph Cech bis heute prägend ist, diesem auch bei hochkomplexer Dichte Zugänglichkeit, Sinnlichkeit verleiht. Im Keller des Konservatoriums in der Johannesgasse finden dann auch die ersten Session mit Schlagwerk-Student Christian Mühlbacher statt, um bald viel Zeit in „ungeheizten Probelokalen“ zu verbringen, und „um schon damals trotz fehlender Auftrittsoption 2 von 5 monatelang an vertrackten Dingen zu üben“, wie Cech auf seiner Homepage unter der Rubrik „Themen“ schreibt. Als weiterer wichtiger Inputgeber wird dort Heinz Czadek genannt, seines Zeichens Dozent für Musiktheorie und Arrangement am Konservatorium, der Cech „ein untrügliches Gefühl für die Ökonomie im Umgang mit Tönen einimpfte.“ Wie auch „die große Liebe zur Bigbandmusik, zum Komponieren und den Drang, eigene Ensembles
zu gründen, um alles möglichst rasch auszuprobieren.“

Mitte der 1980er-Jahre betritt Christoph Cech schließlich erstmals diverse Szene-Bühnen, jeweils im Verein mit Christian Mühlbacher: Einerseits im Ensemble „Paganinis Kinder“, das 1986 die LP „Paganinis Finger“ mit schrägen Pop-Songs, gesungen von Peter Wagner, vorlegt. Zum anderen mit der „Electric Bigband“ genannten Großformation „Nouvelle Cuisine“. Letztere absolviert ihren ersten großen Auftritt 1985 interessanter- wie bezeichnenderweise nicht auf einem Jazzfestival, sondern im Rahmen des Weltmusikfests der „Internationalen Gesellschaft für Neue Musik“ (IGNM) in Amsterdam. Wobei „neben der schrägen Musik vor allem das Micky-Maus-T-Shirt des Posaunisten Robert Radelmacher für allerlei Diskussionen (sorgt)“, wie auf der Band-
Homepage nachzulesen ist.

„Flambée“ heißt die 1988 veröffentlichte Debüt-LP, auf der in undemonstrativer Selbstverständlichkeit postmodernem Stilpluralismus gefrönt wird: Funkige Grooves, rockige Backbeats und jazzig swingende Walking-Bass-Lines bilden die Basis für vertrackte Bläsersätze, dissonante Akzente, Cluster-trächtige Klavier- Einlagen, freie Kollektive und expressive Soli.
Es ist ein Debüt mit nachhaltiger Wirkung - denn 28 Jahre später ist die nach dem Terminus für die neue, leichte Küche benannte Großformation zum Schwergewicht der heimischen Jazzszene mutiert. Immer noch von Christoph Cech und Christian Mühlbacher geleitet, gilt „Nouvelle Cuisine“ nach der Auflösung des „Vienna Art Orchestra“ als längstlebiges österreichisches Jazzorchester moderner Prägung. Inzwischen sind gleich mehrere Generationen junger InstrumentalistInnen durch die Band gegangen, die sich so als wichtige Talenteschmiede profiliert hat. Seit August 2013 liegt der mittlerweile achte Tonträger „Swing!“ vor, in dessen Rahmen sich „Nouvelle Cuisine“ von schwungvoller, juveniler Seite zeigt. Mitunter ist der Titel auch wörtlich zu nehmen: etwa wenn sich das Orchester in Christoph Cechs Komposition „Woody Vulgo Tenor Tacet" in eine Walking-Bass-getriebene, Jive-artig swingende Bigband verwandelt und so – auf eigene, gewitzte Weise und in dissonant verdichteten Harmonien - der Jazztradition annähert.

Der Komponist

„Nouvelle Cuisine“ ist die Band-Konstante im musikalischen Leben von Christoph Cech, das sich rund um jenes Orchester im Zuge der letzten 30 Jahre grundlegend gewandelt hat. In dieser Zeit mutierte Cech vom hoffnungsvollen Nachwuchstalent, vom Mann der Zukunft, zum Szene-Protagonisten von heute.

Während als weitere wichtige Bandprojekte das 1988 gegründete Oktett „Striped Roses“ erwähnt sei, ebenso die Trios „Jubilo Elf“ (mit Sänger-Pianistin Elfi Aichinger) und „Giuffre Zone“ (mit Klarinettist Gerald Preinfalk und Bassist Per Mathisen), so löste sich in jener Zeit der Komponist Christoph Cech immer mehr vom Interpreten. Das dicht gewobene „Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1“, 1993 von Robert Lehrbaumer und dem ORF-Radiosymphonie-Orchester unter der Leitung von HK Gruber uraufgeführt, ist ein öffentlichkeitswirksamer Meilenstein, noch mehr allerdings die Uraufführung der Oper „Aus allen Blüten Bitternis“ über Stefan Zweigs Weg in die Emigration nach einem Libretto von Alfredo Bauer, die im November 1996 an der Wiener Kammeroper Premiere hat.

Zu diesem Zeitpunkt haben bereits andere, namhafte InterpretInnen den Komponisten Christoph Cech für sich entdeckt: Klarinettistin Sabine Meyer nimmt 1994 mit dem „Trio di Clarone“ Cechs 1990 komponierte „8 Duette“ unter dem Namen „Jazzsuite“ für ihre CD „Blues for Sabine“ auf; und im Mai 1996 ist niemand Geringerer als Siegfried Palm an der Uraufführung des Stücks „Adam“ für zwei Celli und Klavier im Sift Viktring in Kärnten beteiligt. Als weitere wichtige Etappen in der Entwicklung des Komponisten Christoph Cech seien die Uraufführung der insgesamt dritten, Monteverdi-inspirierten Oper „Orfeo“ 2005 in Wien genannt, ebenso jene der „Totentanz-Fragmente“ 2010 im Rahmen von „Imago Dei“ in der Kremser Minoritenkirche. Auch eine „Missa“ hat Cech im Auftrag der Tiroler Festspiele Erl komponiert und 2008 in Innsbruck zur Aufführung gebracht - als zwar nicht religiöser, sehr wohl aber spiritueller Mensch, der von sich sagt, er lasse sich „meinen persönlichen Zugang zum Irrationalen, Unfassbaren nicht von kirchlichen Normen verbauen.“

Der Pädagoge

1999 schließlich zündet die dritte Antriebsstufe im beruflichen Werdegang von Christoph Cech. Obwohl schon seit dem Jahr 1988 auch als Unterrichtender am Reinhardt-Seminar der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien tätig (Lehrauftrag für improvisierte Tanzkorrepetition und Rhythmik), übernimmt Cech in diesem Jahr seine als Pädagoge bis dato einflussreichste Aufgabe. Er wird Direktor des Instituts für Jazz und improvisierte Musik (JIM) an der Anton- Bruckner-Privatuniversität in Linz und hat diese Position 15 Jahre lang inne, ehe ihm im Herbst 2014 Martin Stepanik nachfolgt. Cech richtet das JIM anders aus als das renommierte, schon 1965 gegründete Jazzinstitut an der Grazer Kunstuniversität. Während dort die Tradition des Jazz, seine Regeln, seine idiomatischen Eigenheiten hoch gehalten werden, ist es in Linz weniger die Sprache als die Idee des Jazz, die weitergegeben wird - die Idee, sich musikalisch selbst zu finden, auszudrücken. Stilistische Fragen kümmern dabei kaum, eher solche der offenen, forschenden Haltung, die Christoph Cech von den Studierenden einfordert - und die er selbst ihnen vorlebt. Einblick in die pädagogischen Leitlinien und damit auch in das eigene ästhetische Credo gibt Christoph Cech auf seiner Homepage: „Wofür hat man als Leiter eines Instituts für Jazz und improvisierte Musik (…) Sorge zu tragen?“, fragt er selbst und antwortet in Gestalt von „einigen Geboten“, interessanterweise sind es tatsächlich deren zehn. Zitieren wir Gebot Nummer drei: „Daß Jazzmusiker raus aus dem teilweise selbstverschuldeten Ghetto der Jazzmusik müssen, mit anderen Musikformen in Berührung kommen sollen, sich als Teil zeitgenössischen Musikschaffens verstehen sollen. Die Schwellenangst vor allem zum klassischen Musikbereich hinüber muß überwunden werden, ein Austausch ist anzustreben, zum Beispiel in gemischten Ensembles.“

Da ist im Wesentlichen alles drin, was Christoph Cech ausmacht. Das ist alles drin, was den pädagogischen Geist, den weiten Horizont der DozentInnen am Institut für Jazz und improvisierte Musik an der Anton-Bruckner-Privatuniversität Linz, was letztlich die Studierenden ausmacht. Raus aus der Mauseloch! Schluss mit dem Lagerdenken! Purismus ist out, stilistischer Multilaterialismus das Gebot der Stunde. Es nimmt nicht Wunder, dass ein Gutteil jener sympathisch eigenwilligen Talente, die heute die junge österreichische Jazzszene bereichern, aus Linz kommt. Bands wie „Month of Sundays“, „Namby Pamby Boy“, „Memplex“, „Arktis/Air“ sowie MusikerInnen wie Judith Unterpertinger, Michael Bruckner-Weinhuber, Fabian Pollack, Philipp Harnisch, Fabian Rucker, Mario Rom, Philip Nykrin, Werner Zangerle, Lukas König und Judith Ferstl. Ist es Zufall, dass zwei der drei Gewinner des zwischen 2013 und 2015 im Wiener Porgy & Bess vergebenen „BAWAG PSK Next Generation Award“ (nämlich das Quintett chuffDRONE und das Sextett Gnigler) sich am JIM formiert haben? Wenn, dann hat man Grund zur Annahme, dass der Zufall einen Namen hat: Christoph Cech.

Der Brückenbauer

„Ich bin oft sehr misstrauisch Dogmen gegenüber und kann auch dem neuen Musikbegriff, wie er traditionellerweise im üblichen Konzertbetrieb gepflegt wird, nichts abgewinnen“, so Christoph Cech im O-Ton. Und weiter: „Obwohl man nicht von einer normierten Sprache der zeitgenössischen Musik sprechen kann, lässt sich so etwas wie ein Mainstream orten, allein vom Background der Leute her. Mir gefällt es, Stücke zu spielen, deren Komponisten sich selbst nicht so klar über ihren Background sind oder das nicht genau definieren können. Die selbst verwirrt sind bezüglich ihrer Einflüsse, die einfach voll Neugierde stecken und keine Angst haben, sich auf neues Terrain zu wagen.“

So äußerte Christoph Cech anno 2002 gegenüber dem Autor dieser Zeilen in Bezug auf ein besonderes Herzensprojekt - das „Janus Ensemble“. Selbiges hatte sich sechs Jahre zuvor aus den Musikerschaften formiert, die 1996 Wolfgang R. Kubizeks „Monolog mit einem Schatten“ und Cechs Stefan-Zweig-Oper „Aus allen Blüten Bitternis ...“ zur Aufführung brachten. Nach Abschluss der Projekte ermutigten die Musiker und Musikerinnen Cech, mit ihnen als Dirigent weiter zu arbeiten. Was dieser gerne tat. In den zwölf Jahren seines Bestehens - Ende 2008 musste der Betrieb nach der Förderungsabsage des Bundes eingestellt werden - avancierte das „Janus Ensemble“ zu einem Klangkörper besonderer Art: Besetzt mit Interpreten und Improvisatoren, spezialisierte sich das Ensemble auf Kompositionen von selbst improvisations-erfahrenen Musikern. Boris Sinclair Hauf, Monika Trotz, Oskar Aichinger, Fabian Pollack sind einige der InstrumentalistInnen, deren Werke vom „Janus Ensemble“ (und oft genug von keinem anderen Klangkörper) aufgeführt wurden. „Protect the unknown“: Diese Forderung des Chicagoer Improvisators, Komponisten und musikalischen Universalgelehrten Anthony Braxton, ungespielte Töne hörbar zu machen, zu ermöglichen, sie scheint auch für Christoph Cech ein Leitmotiv seiner Arbeit. Es passt ins Bild, dass Cech auch gerne mit Laien, Amateuren kooperiert: Sei es, indem er sie in seinen Partituren mitdenkt wie im Zuge der 2010 uraufgeführten „Totentanz-Fragmente“, bei denen ein SchülerInnen-Chor sowie jugendliche Flüchtlinge aus Afghanistan mitwirkten. Sei es, indem er mit Klangkörpern wie der Werkskapelle Lenzing oder der 70-köpfigen Blasmusikkapelle Rossatz Projekte realisiert - mit letzterer gestaltete Cech im Verein mit „Nouvelle Cuisine“ anno 2003 auf der Bühne des Glatt & Verkehrt-Festivals in Krems einen denkwürdigen Auftritt. Zudem leitet Christoph Cech seit vielen Jahren die „Big Annas Bergfun Band“, ein ausschließlich mit HobbymusikerInnen besetztes Jazzorchester, mit dem er mit derselben Ernsthaftigkeit und Akribie seine Kompositionen einstudiert, um sich für die Konzerte - im besten Sinne dilettierend - ans Schlagzeug zu setzen.

Man sieht: Die „Zwischenzone“, sie ist mittlerweile ein weites Feld, das sich zwischen vielerlei Polen erstreckt. Exaktheit und Unschärfe. Virtuosität und Liebhaberei. Improvisation und Komposition. Jazz und zeitgenössische Musik. Abstraktion und Sinnlichkeit. Christoph Cech: „Dieser Sumpf, in dem so manche Blüte treiben kann, ist ein Zeichen für eine intakte Kulturlandschaft. Wenn man das Experimentelle nicht zulässt, wird das Ganze verdorben. Am Anfang steht immer das Experiment, dessen
Ergebnisse sich dann der Mainstream holt.“